Mit dem Drahtesel auf den Pfaden der Stahlrösser
Mit einer Streckenlänge von rund 38.000 km Ende 2005 besitzt Deutschland noch immer eines der dichtesten Eisenbahnnetze der Welt. Das sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der vielzitierte “Rückzug aus der Fläche” in den letzten Jahrzehnten gewaltige Lücken hinterlassen hat. Und angesichts gekürzter Regionalisierungsmittel werden Reaktivierungen stillgelegter Strecken in Zukunft nur noch selten durchzusetzen sein.
Je nach Zustand und geographischer Lage kommen verschiedene Möglichkeiten einer Nachnutzung in Betracht. Während man früher oft große Teile sich selbst überlassen, untergepflügt oder allenfalls lukrative Bahnhofsareale überbaut hat, wird heute in vielen Fällen eine durchgehende Erhaltung der Trassenbänder angestrebt. Bei hinreichend intakter Infrastruktur können Museumsbahnen oder Draisinenverkehre etabliert werden, die die Erinnerung an die Bahn lebendig halten. Aber auch nach einem Abbau der Gleise gibt es Alternativen, die mitunter enormen Leistungen der Eisenbahnerbauer weiter zum Wohle der Allgemeinheit zu verwenden:
Gerade in den Mittelgebirgen bieten stillgelegte Eisenbahntrassen eine ideale Basis für Rad- und Wanderwege. Einige der interessantesten der über 400 deutschen Bahntrassenwege erschließen Landstriche, die zuvor von Radwanderern weitgehend unbeachtet geblieben sind – und brauchen im Hinblick auf den Besucherzuspruch einen Vergleich sogar mit den populären Flussradwegen keineswegs zu scheuen. Der Bau eines Bahntrassenwegs kann also spürbar zur Attraktivität einer ganzen Region beitragen, auch wenn die wirtschaftlichen Effekte selbst längerer und professionell vermarkteter Routen statistisch nur schwer zu fassen sind.
Die zwischen Bergneustadt und Drolshagen geplante Öffnung des Wegeringhausener Tunnels ist der wichtigste Mosaikstein einer auch für Freizeitradler attraktiven Route in einem sonst von Bundesstraßen geprägten Korridor. Durch die Wegführung des Radverkehrs von der Straße und die geringere zu überwindende Höhendifferenz spricht diese Verbindung zwischen Rheinland und Westfalen auch weniger sportliche Fahrer und Familien mit Kindern an.
Bahntrassenradeln – ein Wunschzettel
Die Befahrung zahlreicher Bahntrassenwege in Deutschland hat gezeigt, wie groß die Unterschiede bei der Gestaltung dieser Wege sind. Dabei können im Zweifelsfall Kleinigkeiten darüber entscheiden, wie gut ein Weg von Fahrradtouristen angenommen wird – oder nach einmaligem Befahren gemieden und eben nicht per Mundpropaganda weiterempfohlen wird. Im folgenden sollen einige Anregungenvorgestellt werden, die dazu beitragen mögen, dass bei der Neueinrichtung oder Umgestaltung von (Bahntrassen-)Radwanderwegen das Rad nicht immer wieder neu erfunden werden muss – es gibt genügend herausragende und innovative Vorbilder. Diese Punkte wurden erstmals als “Wunschzettel” auf http://www.bahntrassenradeln.de/veröffentlicht und für die vorliegende Präsentation geringfügig überarbeitet.
www.bahntrassenradeln.de veröffentlicht und für die vorliegende Präsentation geringfügig überarbeitet.
Oberfläche und Wegebreite
Der Belag der Wahl ist ein ebener aber griffiger Asphalt. Bei Wegen von regionaler oder lokaler Bedeutung ist auch eine gute (!) wassergebundene Oberfläche akzeptabel und teilweise wünschenswert – die Benutzung des Weges durch Reiter sollte dann allerdings explizit ausgeschlossen werden. Kritische Stellen sind bei wassergebundenen Wegen die Bereiche unterhalb von Brücken: Hier sind oft Schäden durch herabtropfendes Regenwasser zu beobachten. Auch an Steigungen muss rasch mit Erosionsschäden gerechnet werden. Eine Asphaltierung kann in landschaftlich sensiblen Bereichen auf zwei Fahrspuren mit einem geschotterten Mittelstreifenbeschränkt werden. Experimente mit wasserdurchlässigen Materialien waren weniger überzeugend, da diese Oberflächen deutlich unebener sind oder einen höheren Rollwiderstand aufweisen. Eine Asphaltoberfläche über die Gesamtbreite des Weges kommt auch Inlinern entgegen, für die Wege auf ehemaligen Bahnstrecken oft ideale Bedingungen bieten.
Da auf Bahntrassenradwegen ähnlich wie auf Radwegen entlang von Flüssen insbesondere an Wochenenden mit einem regen Ausflugsverkehr zu rechnen ist, sollten die Wege mit einer Breite von 2,5, besser 3 Metern ausgebaut werden. Damit die gesamte Breite des Weges nutzbar bleibt, ist es wichtig, dass die Randstreifen regelmäßig gemäht und in den Weg hineinragende Ästen entfernt werden. Bahndämme mit steil abfallenden Flanken sollten durch Geländer gesichert werden. Das Material bleibt hier Geschmackssache: Holz sieht am Anfang besser aus, ist aber nicht so haltbar wie Metall.
Ehemals niveaugleiche Bahnübergänge
Zu den am schwierigsten zu gestaltenden Abschnitten von Bahntrassenradwegen gehören die ehemals niveaugleichen Bahnübergänge. Sie sollten baulich so beschaffen sein, dass sie zügig passiert werden können, dabei aber nicht die Gefahr von Kollisionen mit dem Querverkehr oder Hindernissen im Weg heraufbeschworen wird. In vielen Fällen werden Einmündungen durch Drängelgitter oder ähnliche Einrichtungen “gesichert”, sodass man im schlimmsten Fall alle paar 100 Meter zum Absteigen oder Herumheben des Rades gezwungen wird, insbesondere, wenn manmit Gepäcktaschen unterwegs ist. Eine Benutzung des Weges mit Kinderanhänger wird dabei praktisch unmöglich gemacht. In einigen Fällen wurde der weiter von der Straße entfernte Teil des Drängelgitters schräg gestellt, bei mindestens zwei erst kürzlich neugebauten Wegen wurden die Drängelgitter wenige Wochen nach der Eröffnung zur Hälfte abgebaut. Dadurch wird die Passage zwar erleichtert, es ist aber immer noch kein Begegnungsverkehr im Einmündungsbereich möglich, da weniger als die Hälfte der Wegesbreite zur Verfügung steht.
Nur selten ist eine wirklich gute Gestaltung der Kreuzungsbereiche gelungen. Ich persönlich favorisiere einen in der Wegesmitte positionierten Pfahl, der von der Straße aus gesehen das Verkehrszeichen “Radweg” bzw. “Rad-/Fußweg” ggf. mit Freigabezusätzen trägt. Vom Radweg aus sollte die Vorfahrtssituation dargestellt werden, d. h. im Regelfall “Vorfahrt achten”, bei unübersichtlichen Stellen oder stark befahrenen Straßen auch “Stop” (was aber die Ausnahme bleiben sollte). Damit der Pfahl nicht übersehen werden kann, wird er durch eine rot-weiße Bake gekennzeichnet. Wenn dies nicht als ausreichend anzusehen ist um Radfahrerabzubremsen, die auf der Bahntrasse unterwegs sind, kann der Weg vor dem Kreuzungsbereich minimal verschwenkt werden – das ist einfach, preiswert und zugleich wirkungsvoll.
Zur Vorfahrtsregelung an Querwegen sei angemerkt, dass sicherlich nachzuvollziehen ist, dass der Querverkehr von stärker befahrenen Straßen den Vorrang erhält. Dass ein Bahntrassenradweg aber an jedem Feldweg oder verkehrsberuhigten Straße dieVorfahrt verliert, dürfte nicht zu dessen Attraktivierung beitragen. Als kritisch istebenfalls eine inflationäre Verwendung der Schilder “Radfahrer absteigen” anzusehen, die im schlimmsten Fall dazu führt, dass sie an den wirklich gefährlichen Stellen nicht ernst genommen werden.
Idealerweise besteht zwischen Bahntrassenradweg und Querstraße keine Höhendifferenz. Selbst einigermaßen tief abgesenkte Bordsteine sind eine unnötigeBelastung für Fahrer und Rad. Insgesamt gesehen sollte alles vermieden werden, was die Aufmerksamkeit vom Querverkehr ablenkt.
Beschilderung
Bei der Beschilderung von Radwegen sind zwei Aspekte zu unterscheiden: die Ausweisung als Radweg etc. im Sinne der Straßenverkehrsordnung und die (fahrradtouristische) Wegweisung.
Idealerweise ist ein Radwanderweg insb. auf einer stillgelegten Bahntrasse als Radweg (Zeichen 237 der StVO) oder gemeinsamer Fuß- und Radweg (Zeichen 240) ausgewiesen. Soll der Weg von landwirtschaftlichem Verkehr mitbenutzt werden, kann er durch entsprechende Zusatzzeichen freigegeben werden. Alternativ kann der Weg durch das Zeichen 260 für den motorisierten Verkehr gesperrt werden (evtl. mit Ausnahmen). Soll Zeichen 250 (Verbot für Fahrzeuge aller Art) verwendet werden, muss dieses mit dem Zusatz “Radfahrer frei” ergänzt werden, da ansonsten Fahrräder nur geschoben werden dürften.
Bei der Wegweisung – also der Ausstattung mit Schildern, die auf den Verlauf der Route und die nächsten Orte hinweisen – gibt es sehr große Unterschiede, je nachdem, ob ein Weg lokale oder überregionale Bedeutung hat. Bei kurzen Wegen von lokaler Bedeutung kann eine Wegweisung völlig fehlen. Alle anderen Routen sollten so mit Schildern ausgestattet sein, dass ihr Verlauf ohne allzu häufiges Kartenstudium nachvollzogen werden kann. In Nordrhein-Westfalen wird die Gestaltung der Wegweisung durch das Regelwerk “Hinweise zur wegweisenden Beschilderung für denRadverkehr in Nordrhein-Westfalen” festgelegt, durch das eine Einheitlichkeit und ein Abbau des vielerorts vorhandenen Altschilderwalds erzielt werden sollen.
Kunstbauten
Zu den Höhepunkten einer Radtour auf einer stillgelegten Bahntrasse gehört es mit Sicherheit, wenn die Brückenbauwerke oder Tunnel, die früher der Eisenbahn vorbehalten waren, jetzt mit dem Rad befahren werden können. Längere oder kurvige Tunnel, bei denen keine Sichtbeziehung zwischen den beiden Portalen besteht, sollten – tagsüber – beleuchtet sein. Die Beleuchtung kann ggf. durch Bewegungsmelder eingeschaltet werden. Zusätzliche Orientierung bieten weiße Begrenzungsmarkierungen, insbesondere wenn es neben einer asphaltierten Fahrbahn unbefestigte Randstreifen gibt. Zur Erhöhung der objektiven und subjektiven Sicherheit wurden im Milseburgtunnel (dem mit 1,2 km längsten Tunnel, der Teil eines deutschen Bahntassenweges ist) Notrufsäulen und Videoüberwachung installiert.
Tunnel, die über längere Zeit nicht genutzt wurden, bieten ideale Voraussetzungen für Winterquartiere von Fledermäusen. Um die Tunnel dennoch für den Radweg öffnen zu können, ohne die Tiere zu vertreiben, können in Teilbereichen Zwischendecken eingezogen werden (z. B. beim Maare-Mosel-Radweg in der Eifel). In weiteren Fällen gibt es eine Wintersperre in Kombination mit einer Umfahrungsstrecke (Milseburgradweg in der Rhön oder Bleialfer Tunnel auf dem Eifel-Ardennen-Radweg). Brücken und Viadukte sind oft in einem so guten baulichen Zustand, dass sie ebenfalls in den Radweg mit einbezogen werden können. Dies ist insbesondere dann wünschenswert, wenn dadurch tiefe Täler überquert werden und den Radlern steile Auf- und Abstiege erspart werden.
Rastmöglichkeiten
Bei längeren Radwanderwegen ist es wichtig, dass genügend Rastmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Neben den üblichen Bänken und Tischgruppen bietet es sich an, die Rastplätze auf die besonderen Bedürfnisse von Reiseradlern zuzuschneiden. Dazu gehört es, dass Anlehnmöglichkeiten für mit Packtaschen beladene Räder vorhanden sind. Außerdem sind in Unterstellmöglichkeiten wünschenswert.
Eine hervorragende Umnutzung ehemaliger Bahnhofsgebäude besteht in der Einrichtung von Restaurants mit Biergärten, die gerne angenommen werden. In einigen Fällen können sogar Schlafwagen zur Übernachtung genutzt werden.
Familienfreundlichkeit
Häufig werden Bahntrassenradwege als “familienfreundlich” beworben. Dies sollte nicht allein auf das Fehlen motorisierten Verkehrs auf diesen Strecken abzielen. An der Strecke sollten vielmehr attraktive Spielplätze oder für alle Altersgruppen interessante Ausflugsziele liegen. In Bezug auf eine durchgängige Befahrbarkeit sind an den Weg besondere Ansprüche zu stellen: Er sollte auf jeden Fall mit Kinderanhänger benutzt werden können – was durch Drängelgitter und ähnliche Hindernisse konterkariert wird.
Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln
Wenn man nicht gerade auf großer Tour unterwegs ist und so auch abgelegenere Regionen erreicht, ist bei der Anreise die Bahn das Verkehrsmittel der Wahl. Eine Fahrradmitnahme ist in den Nahverkehrs- und Regionalzügen in der Regel problemlos möglich und häufig beginnen oder enden Bahntrassenradwege in der Nähe eines Bahnhofs. Bei einigen Radwanderwegen wurden zudem insbesondere an Wochenenden spezielle Radbusse eingerichtet, sodass eine Alternative zu einer Rückfahrt auf der gleichen Strecke besteht.
Achim Bartoschek
www.bahntrassenradeln.de – Das Verzeichnis der Bahntrassenradwege in Deutschland umfasst über 400 Strecken, die in detaillierten Steckbriefen mit Routenverlauf, Fotografien und Daten zur Eisenbahngeschichte vorgestellt werden. Wir bedanken uns bei Dr. Achim Bartoschek für diesen Artikel. Ein weiteres empfehlenswertes Link ist: http://www.radverkehrsnetz.nrw.de/RVN_hbr01.html